SCHRIFTBILDER

Ausschnitt der Einführungsrede zur Ausstellung:
„Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding“ 

Frau Dr. Jenny Graf-Bicher

„Schon immer hat die Künstlerin das Zeichnen als eine künstlerische Aneignung der sichtbaren Welt, ihrer Schönheiten, ihrer Sonderbarkeiten begriffen. Und hat dabei die Grenzen zur Abstraktion sehr frei überschritten. In der großen Werkserie der hier ausgestellten Schriftbilder ist der Ausgangspunkt jedoch entschieden, die Sprache, das Wort, die Literatur.
Als Leserin des viele tausend Seiten umfassenden Romanwerks „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ von Marcel Proust, hat sie begonnen, das Erlebnis und den Prozess des Lesens, mit ihren eigenen künstlerischen Mitteln zu erkunden. Was macht die rätselhafte Faszination der Lektüre aus? Da gibt es die mühevollen und auch lustvollen Versuche, im Lesefluss durch den mäandernden Roman den Faden zu behalten. Oder eher die zahlreichen Fäden aufzuspüren und ihre Verknüpfungen zu entdecken. Oder dem Sog der Melodie endloser Sätze quasi hypnotisiert zu folgen, oder die mal offenen, mal verborgenen Anspielungen auf andere Texte bewusst zu genießen.

Gisela Tschauner hat für diese eigene Erkundung den Weg der Anverwandlung gewählt: Das handschriftliche Schreiben des Geschriebenen, das Eintauchen in den Fluss der Schrift, das meditative Nachvollziehen des Schreibens, als entschieden verlangsamter schreibender, zeichnender Lektürefluss.
Auf diese Weise sind etliche große Bildtafeln zu Prousts Werk „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ entstanden, von denen wir eine im großen Ausstellungsraum sehen. Wer einmal Prousts handschriftliche Manuskripte gesehen hat, wird einen Reflex davon in den unendlich geduldig gesetzten feinen, dichten Schriftlinien dieser Tafel sehen können.
Das gleiche große Bild daneben steht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit Proust, obwohl es den Text der großen Märchenerzählung „Tausendundeine Nacht“ zur Grundlage hat. Die Erkenntnis, dass Prousts Schreiben ein Vorbild hatte in der Nacht für Nacht und über Jahre fortgesetzten lebensrettenden Erzählung der Scheherazade, also ein orientalisches Vorbild, führte Gisela Tschauner dazu, sich mit gleicher Intensität diesem Märchenzyklus zu widmen.“
MEHR ZU 1001 NACHT UNTER: ROLLBILDER

Schreiben | Annäherung an Marcel Proust
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